16.1.12

Mode und Apokalypse: wie die Modeindustrie die Erde ausbrennt (2)


Wer ist schuld?! Ach, natürlich ist das eine rhetorische Frage, die Antwort ist ja klar: Wir! Wer sonst? Und trotzdem konzentriert sich Siegle nur auf eine Seite dieses Pronomens: auf die Modekonzerne.

Ihr Feind nennt sie ‚Big Fashion‘. Dabei geht es um bekannte Namen: Primark, Zara, Topshop, H&M, Gap, Esprit… Sie stehen für das, was heute Mode ist. Deren Eigenschaften sind die Definition selbst des Modetraums: immer schnellerer Wechsel durch kurzlebige Kollektionen (Zara stellt ca. 12.000 Designs pro Jahr her, der Durchschnittzeitraum zwischen Entwurf und Angebot im Laden beträgt nicht mehr als 4 Wochen), billige Preise und die raschste und klügste Erkennung bzw. Erfindung dessen, was wir tragen wollen. Dazu kommen ungeheuerliche Umsätze – die auf eine Art Suchtverhalten der Modekonsumenten zurückzuführen sind:


Parallel zur Big-Fashion-Industrie, die nicht älter als 20 Jahre ist, hat sich ein neuer Käufer-Typus entwickelt. Der entspricht dem Homo consumericus der Soziologen, der ungefähr in den 70ern auf die Bühne trat. In Das paradoxe Glück: Essay über die Gesellschaft des Hyperkonsums (2006) beschreibt ihn der französische Philosoph Gilles Lipovetsky so: „eine Art ungezügelter, mobiler und flexibler Turbokonsument, der von alten Klassenkulturen befreit ist und einen unvorhersehbaren Geschmack hat – ein Hyperkonsument auf der Suche nach emotionalen Erfahrungen und mehr Wohlbefinden“. Der Mode-Homo consumericus mit seinen Leitprinzipien: schnell-billig-mehr-immer-neu, ist ein besonders faszinierender und repräsentativer Fall des ‚neuen Menschen’ der Konsumgesellschaft.

Aus dieser entzückenden Konstellation also entsteht das Desaster Was tun?

Sicher gibt es interessante ethische Sprösslinge in der Welt der Big Fashion, wie der Eco-Index – der Umweltrichtlinien und -Performance-Indikatoren verwendet, um die ökologischen Auswirkungen von Produkten zu bewerten – oder Produkte wie Nikes Air Jordan XX3, Levis Water<Less-Jeans. Eigentlich gibt es heutzutage kaum globale Modemarken, die das Lieblings-Marktmotto des 21. Jh. ab imo pectore nicht jodeln: ‚Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeit’!

Doch wie Siegle und andere erklären, gibt es heute auch nichts Einfacheres für einen Modekonzern als Kollektionen ‚green’ oder ‚conscious’ zu nennen – ohne dabei auf alle relevanten Aspekte einer authentisch nachhaltigen Herstellung zu achten. Im Klartext: Öko-Mode ist nicht gleich Öko-Mode.

Es fehlt an Kontrollen und Siegeln, die das sogenannte sozial-ethische Engagement der Unternehmen effektiv zertifizieren. Und es fehlt auch an einem hartnäckigen Bewusstsein seitens der Verbraucher. Siegles Hoffnungen richten sich deshalb auf uns Modekonsumenten.

Sie stellt eine Reihe von Ideen vor, wie man sich an einem ‚perfekten Kleiderschrank’ annähern könnte. Ihre Hauptermahnung: „Matching your Aesthetics to Your Ethics“ (S. 237). Der Inhalt: bewusster kaufen („mit scharfsinnigem Blick die ethischen Referenzen“ aller Kleidungsstücke berücksichtigen [S. 236]); weniger kaufen („Shopping with a plan“: nur das kaufen, was einen „sozialgerechten Kleiderschrank sichert“ [S. 99]); woanders kaufen („ich möchte, dass ihr euer hart verdientes Geld sinnvoll ausgebt und es nicht einfach ins unerbittliche schwarze Loch des Kauf-und-Wegschmeiß-Zyklus der Big Fashion hineinwerft“ [S. 100])… Das Verfahren besteht am Ende also aus der Berufung auf unser Gewissen.

Es ist mehr als verständlich, dass Siegle sich an die Modekäufer wendet: das System der Big Fashion wird sich nicht von allein verändern, ohne Druck der Konsumenten. Doch Siegles Methode ist auch naiv.

Siegles unheilvolle Big Fashion hat meisterhaft geschafft, billig ‚sexy’ zu machen. Jetzt geht’s darum, in der Modewelt ‚bio-’, ‚green’, ‚ethisch’ oder wie immer man es nennen will, ‚sexy’ zu machen. Das mag einfach sein. Für die Unternehmen ginge es aber auch darum, dabei marktfähig, d.h. wachstumsfähig, d.h. heute: billig zu bleiben. Geht das? Oder, klar, man kann auch darauf zielen, das System zu sprengen und die Käufer dazu zu bewegen, mehr Geld für weniger ausgeben zu wollen (bzw. weniger billige Mode zu kaufen). Geht das?

(Halb)Nackt-Modekäufer bei Gratisklamotten-Aktion (Spanien)
Das Problem ist nicht ein Mangel an Information. Jeder weiß (indem er es nicht genau weiß oder wissen will) woher seine Klamotten kommen. Es ist also fraglich, dass in dieser Branche die Berufung auf unsere Vernünftigkeit besonders wirksam sein kann. Ein Beispiel: das wirklich mächtige Argument, auf dem der Vormarsch des Bio-Bewusstseins in der Ernährungsbranche beruht, scheint nicht die Berufung auf unsere Humanität (gegenüber Tieren, Guatemala-Bauern usw.) zu sein, sondern die indirekte Anspielung auf unser eigenes Wohlbefinden: Billigessen könnte uns krank machen. Nur, im Unterschied zum Discounter-Billigessen machen uns Zara-Billigkleider weder krank noch dick. (Im Gegenteil.)

Am Ende steht jeder allein mit seinem Gewissen. Was kann man davon halten? In einem Artikel über Primark in brandeins wird ein durchschnittlicher Käufer zitiert:

‚Wo die Sachen herkommen? Klar fragt man sich das‘, sagt er und wirft einen nachdenklichen Blick in den Plastikbeutel. Nicht auszuschließen, dass da sogar Kinderarbeit beteiligt sei. ‚Aber sorry, ich bin in der Ausbildung, ich brauch’s einfach billig‘“…

Da ist es. 

An einer Stelle schreibt Siegle über die Big Fashion: „Das System ist krank. Man kann es sogar als verfault beschreiben“ (S. 79). (Aha: zum Glück hat es jemand endlich gemerkt! – Was Siegle dabei vergisst oder verschweigt: das gilt auch für uns. Wir sind ‚das System’.) Das ist seit Jahren immer wieder das Fazit bei allem, was mit dem globalisierten Herstellen, Verkaufen und Kaufen zu tun hat. –

Womit diese Geschichte in eine (sehr modische!) Kritik der Globalisierung, der ‚herrschenden kapitalistischen Ordnung‘, der blindkaufenden ‚globalen Konsumentenklasse’ mündet.

Also doch eine apokalyptische Neujahrsrede. Frohes 2012!!!

© HDCA, 2012