18.11.11

[INTRO] Warum über Mode nachdenken?


Mode ist wichtig. Durch alle Wege, durch die wir mit unserer Welt kommunizieren, ist die Kleidung einer der prägnantesten. Was immer ‚Umwelt‘ und ‚kommunizieren‘ heißen mögen, ob uns den anderen anpassen, entgegensetzen, auffällig oder unauffällig machen. Ob wir uns bewusst oder völlig besinnungslos anziehen, ob wir tatsächlich dabei an die Welt denken oder gar nicht: wir sind für die anderen – zugegeben: nicht nur aber auch – das, was wir tragen. Aber die Mode ist nicht nur expressiv. Sie gehört auch dazu, wie wir uns erfinden und uns selbst betrachten, als ‚klassische’, ‚alternative‘, ‚elegante‘ oder ‚rebellische‘ Menschen. Das Paradox der Mode: auch wenn wir vorsätzlich die launische Autorität der Mode abweisen, folgen wir dadurch einem Trend. Wer sich bewusst ‚unmodisch‘ kleidet, geht das Risiko ein, einen Stil zu schaffen…

Mode ist Macht. Die größten Bekleidungsunternehmen der Welt: Gap, Inditex (Zara, Massimo Dutti, Berschka usw.) und H&M beschäftigen zusammen mehr als 320.000 Mitarbeiter, betreiben ca. 10.200 Filialen auf dem ganzen Globus und machten 2010 jeweils 10,6; 12,5 und 12,2 Milliarden € Umsatz. Etwas konkreter? Geht auf die Straße, geht ins Internet und zahlt wie viele neue reale und virtuelle Klamottenläden jeden Tag aufmachen.

Mode ist Kultur. Soziologen und Philosophen wie René König oder Gilles Lipovetsky haben gezeigt inwiefern die Obsession des immer wechselnden Aussehens die modernen Gesellschaften beherrscht und vor allem: definiert. Die Befreiung von Kleiderordnungen seit dem Ende des Mittelalters, die Industrialisierungsprozesse, die eine immer billigere, immer wachsende Produktion ermöglichen, die Demokratisierung des Konsums, die Globalisierung des Geschmacks, die mediale Überströmung, die Ästhetisierung des alltäglichen Lebens – das all hat die Mode zu einer allwesenden Präsenz gemacht, die unsere Welt durchquert.

Mode ist Zeitgeist. Wenn wir den modernen Menschen in seinen Verlangen, Ängsten und Leidenschaften verstehen wollen, kommen wir nicht an die Mode vorbei. Besonders wahr ist das seit den letzten Jahrzehnten, in denen das Modebewusstsein nicht mehr das Merkzeichen einer privilegierten Gesellschaftsschicht oder mondäner und feierlicher Veranstaltungen ist, sondern dem Alltag und der Straße gehört. (So fehlt in keiner Zeitung die Street-Style-Seite und die Street-Style-Blogs schießen wie Pilze auf dem Web-Boden.) Wie die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken schreibt, am Ende des 20. Jahrhunderts ist die Mode zu dem geworden, was die Kunst hätte sein wollen: die Darstellung des Zeitgeistes.

Mode ist Glück – oder möchte es sein. Seit den Anfängen der Geschichte hat es immer einen Einwand gegen die Mode gegeben: sie sei pure vorübergehende Begeisterung, Schein und nicht Sein, Oberfläche. Und trotzdem machen wir sie mitverantwortlich für das, was wir Glück nennen. Warum? Weil die Mode unsere tiefsten Idealvorstellungen anspricht. Denn ist es nicht eine Art des Glücks, gut angezogen zu sein – nein: sich gut angezogen zu fühlen? Und wie oft ist das Gefühl ‚Ich fühle mich blöd angezogen‘ der Ausdruck eines ‚Ich fühle mich schlecht‘? Der Hang, sich mit Yogakursen vollzustopfen und das Bedürfnis, sich mit Schuhkauf vollzustopfen scheinen in unserer Welt eine und dieselbe Suche zu sein. Somit ist die Frage, was es heißt, gut oder schlecht angezogen zu sein, nicht nur eine abstrakte Frage nach der Schönheit. Sie ist auch eine Frage des Sich-Wohlfühlens, dessen, was das gute Leben sein könnte.

Wir wollen die Mode verstehen, ihre Macht und ihre Launen. Wir wollen verstehen was Mode ist, aber auch warum – und das nämlich in einer Art, die die intellektuelle Fragerei und einen Sinn fürs humoristische Philosophieren nicht scheut. Dafür werden wir uns mit klassischen Modethemen, Trends, Modesünden, Marken, Kleidungsstücken und Modebüchern, die uns gefallen, irritieren oder verblüffen, in Form von Miniaturtexten auseinandersetzen – es gibt genügend andere Foto-Blogs. Wir freuen uns auf Eure Besuche, Fragen und Kommentare!

HDCA 2011