5.4.12

Materialien zur Erforschung des [Berliner] Hipsters (2)


Die oppositionelle Gestik des Hipsters – so Kritiker wie Mark Greif – ist eine Farce, seine political incorrectness eine Fassade. Diese These beruht auf zwei Feststellungen:

1) Der Hipster ist apolitisch. Wenn es eine Hipster-Rebellion gibt, findet sie nur dort statt, wo Individualität und Geschmack angesprochen werden. Was Greif über den New Yorker Hipster schreibt, scheint auf den ‚globalen Hipster’ bezogen werden zu können: die Hipster zeigen, was passiert, wenn „Eliten im Allgemeinen und die weiße Mittelschicht spezifisch ihre Rebellion nur in Bereichen austragen, die ihr eigenes Vergnügen und ihren Komfort betreffen“ (S. 18): Mode, Musik, Design…

Eine antikonsumistische Haltung ist darum abwesend (im Gegenteil: der Hipster steht für eine Verfeinerung des Konsums). Die antibürgerliche Exzentrizität soll im ästhetischen, nicht im politischen Sinne verstanden werden. Und so ist der Hipster hinter dem Oppositionsvorwand eigentlich konservativ. Wenn man von einer Hipster-Ideologie sprechen möchte, dann geht es hier lediglich um eine Art Ideologie des guten Geschmacks.

2) Dementsprechend besteht die große ‚verändernde‘ Begabung des Hipsters vor allem darin, alltägliche Gegenstände geschickt in zu begehrende, kunstartige Artikel umzuwandeln, gewöhnliche Dinge als Instanzen eines auserlesenen Geschmacks zu interpretieren. Durch diese Interpretation wird aber auch ihre Vermarktung angetrieben.

So haben wir die zunächst einfach nur exzentrischen Frisuren, Klamotten, Accessoires, die dann Mode werden, die minimalistischen Rennräder, die den früheren ‚Hype‘ der Mountainbikes verfinstern, die Second-Hand-Kleider, die derweil teurer als die neuen sind. Das Gleiche, könnte man fast sagen, gilt für die Einstellung der Coolness überhaupt.

Interessant dabei ist nicht so sehr, dass unbedeutende Motive zur Kunst, sondern zu Konsumobjekten werden, zu Waren. (So muss die ganz linksamerikanische Aussage Greifs in der F.A.Z verstanden werden: „sosehr ich Warhol schätze, ich denke, es wäre besser, er hätte nicht existiert“…)
Diese Begabung, das Gewöhnliche, in diesem Fall Räume, zu mystifizieren, beschreibt sehr gut Tobias Rapp in seiner Darstellung der Entwicklung – oder man möchte sagen: der Schöpfung – der Gegend um den Berliner Hackeschen Markt nach dem Mauerfall:

Der Berlin-Mitte-Hipster, der diese Gegend einmal kolonisierte, hatte […] im Grunde nur eine hervorstechende Fähigkeit: Er wusste mit Raum umzugehen. […] Die Räume waren da, sie warteten darauf, interpretiert und bespielt zu werden“ (S. 162).

Nach Rapp erfolgte die allmähliche Eroberung durch das Wohnen und das Schaffen einer (anfangs geheimen, danach etablierten) Szene in der Form von Clubs und Galerien. Auch hier wird das Marginale oder Verruchte durch die Vermittlung einer kunstartigen Interpretation zum ‚Szenigen’, Coolen, oder wie immer man es nennt. (Derselbe Prozess der Neuerfindung traditioneller, melting-pot- oder gar unterentwickelter Großstadtgegenden beschreibt Greif für seine New Yorker Viertel.)

Was danach passiert, ist klar:

Einerseits die nachfolgende Übernahme (und Weitererfindung) der Räume, die der Hipster einst erfunden hatten, seitens des Marktes. (Rapp: „So kamen dann irgendwann die großen Modekonzernen aus aller Welt…“ [S. 163].)

Andererseits die gefürchtete ‚Gentrifizierung’: jene Menschen- und Stadtentwicklung, die in diesen Zeiten trendiger Kapitalismuskritik zu einem trendigen Begriff geworden ist – und die sehr zu genießen ist (solange man das Geld dafür hat).

Greif erzählt von der Verjagung der Ureinwohner, der Verschwindung traditioneller Kleinlokale, der Verteuerung und insgesamt der Standarisierung der Lower East Side, einer Gegend, die man „einst für ihre Authentizität gepriesen hatte“. Rapps Bericht ist auch eloquent: von den ‚alternativen’ Läden um den Hackeschen Markt scheint fast ausschließlich das ‚Café Cinema’ als eine Art Insel mitten H§M-, Fred Perry-Filialen und Touristen zu überleben.

Und Die Welt fasst alles zusammen: „Erst entdecken die Hipster einen ehemals heruntergekommenen Bezirk (wie Neukölln) für sich, dann springen die Immobilienmakler auf und zum Schluss setzen die organisierten pub crawls den Genickschuss - hier geht nichts mehr, Kiez ausgeblutet. Zu dem Zeitpunkt ist der Hipster längst weitergezogen. Zurück bleiben genervte Anwohner, die über gestiegene Mieten klagen.

Der Hipster ist kein Rebell. Er ist eine Art freiwilliger und doch unbeabsichtigter Agent des Kapitalismus. Was auf dem ersten Blick als Exzentrizität oder sogar Avantgarde erscheint, ist – Trendsetting. (Der Hipster fungiert als „Mittelsmann zwischen der Straße und den Marketing-Abteilung der Konsumgüterindustrie“ [Rabe, S. 190].)

Man fragt sich natürlich, ob dieses Schreckensbild stimmt. Zum einen klingt das alles nach der immer wieder kehrenden, fatalistischen Klage einer antiquierten Generation gegenüber einer – immer wiederkehrenden – lasterhaften Jugend. Zum anderen ist die kritische Darstellung des Hipsters als scheinrebellischer, konsumorientierter, heuschreckenartiger und letzten Endes naiv-ironischer ‚junger Mensch’ eine idealisierte Darstellung – und, ach ja: ‚jeder Mensch ist eine Welt für sich‘ usw.

Das Problem ist aber, erstens, dass der Hipster gar kein Vertreter einer ‚lasterhaften’ Gegenkultur ist, sondern bloß ein raffiniertes Nebenprodukt und Instrument von etwas wie einem ‚Kapitalismus-Weltgeist‘ hinter der Tarnung der Gegenkultur.

Zweitens, Greifs Reflektionen entstehen aus Beobachtungen des Verhaltens der (neu)Bewohner spezifischer amerikanischer Viertel. Rapps Thesen aus der Geschichte der ‚Normalisierung’ von Berlin-Mitte. Es ist leicht festzustellen, dass solche Reflektionen und Thesen sich auf das Hier und Heute ganz einfach übertragen lassen.

In diesem Sinne kann man gespannt sein, wann das erste Starbucks (o.Ä.) in Berlin-Neukölln aufmacht. Und wie es dann weiter geht (man denke z.B. an die junge Entwicklung des Berliner Rosenthaler Platzes).

Greifs Fazit ist, trotz allem, optimistisch: „Wenn diese konsumorientierte Kultur im hoffnungsfrohen Zeitalter von Barack Obama überlebt und sich verändert, dann werden ihre Anhänger vielleicht immer noch shoppen gehen – aber vielleicht haben sie ja eine vernünftiger zusammengestellte Einkaufsliste“ (S. 140)…

Abgesehen von der inzwischen deprimierenden Referenz auf Obamas ‚hoffnungsfrohes Zeitalter‘, scheint es schwer Greifs Hoffnungen zu teilen. Besser: in diesem Kontext ist es sinnlos über Hoffnungen zu sprechen:

Der Hipster ist ein Produkt der Welt, wie sie ist. Der ist doch kein Teufel. Im Übrigen – wie jemand kürzlich das Thema etwas prosaisch zusammenfasste – macht nicht dieser sogenannte Hipster dasselbe wie wir alle: ganz authentisch sein zu wollen – und dabei ganz Mainstream zu bleiben?


© HDCA, 2012