Der gerade erschienene neongrüne Sammelband
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Berlin: Suhrkamp 2012 |
kommt rechtzeitig dazu, einem merkwürdigen Subkultur-Phänomen, das schon seit einigen Jahren auf den Großstadtstraßen und
im Netz mehr oder weniger ‚polemisch‘ rumspringt, eine gewisse intellektuelle Aura zu verleihen.
Einige parodistische bis grausame
Hipster-Darstellungen sind schon berühmt, z.B. die soft-schwarze Satire „Hipster Hitler“, das Biopic
„Der Berliner Hipster“:
oder die liebenswürdige Hasstirade „Being
a Dickhead’s Cool“ über den Londoner Hipster (aber heute ist alles irgendwie
das Gleiche):
Es fehlt auch nicht an Begriffsgeschichten und Genealogien des modernen Hipsters. Seine jetzige
Suhrkampizierung scheint somit auf fruchtbaren Boden zu
fallen.
Das Buch enthält Beiträge aus einer 2009-Tagung zur Analyse
und Kritik des ursprünglichen, d.h. amerikanischen Hipsters. Zwar beginnt seine Frühgeschichte in der Jazz-Szene der 40er, die Essays widmen sich aber der zeitgenössischen Großstadtfigur, die als einer der Hauptprotagonisten der soziologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre in Vierteln wie Williamsburg und der Lower East Side in New York agiert. Besonders scharfsinnig sind zwei Texte von Mark Greif –
Herausgeber der Zeitschrift n+1,
Occupy-Chronist und
Literaturdozent an der New School.
Dazu kommen Beiträge der deutschen
Autoren Tobias Rapp, Jens-Christian Rabe und Thomas Meinecke, die das Thema
nun deutschlandfähig machen.
Die Idee des Buches ist disparat und
doch lobenswert. Die Texte sind mutige Experimente (pseudo)wissenschaftlichen
Im-Dunkeln-Herumtastens: Versuche, die
Soziologie eines gegenwärtigen Phänomens zu skizzieren, das äußerst schwierig zu definieren ist.
Wer ist dieser (un)populäre Hipster? Gibt’s den wirklich?
Diese Fragen – denkt man im ersten Moment – kann doch keiner ernst nehmen. Man guckt skeptisch ins Buch rein, erkennt das Problem, geht auf die
Berliner Straße – und kann das Ganze am Ende nur faszinierend finden. (Das gilt auch für die frühere Literatur zum
Thema, wie Richard Lloyds Neo-Bohemia: Art and
Commerce in the Postindustrial City [2006].)
Das Buch wurde Anfang Februar im HBC-Berlin
präsentiert. In
charmanter Gesellschaft und aller Ehrlichkeit habe ich dort versucht zu verstehen,
worum es hier eigentlich geht. Schwer. ‚Hipster‘,
inzwischen zu einem Spottwort geworden, ist semantisch so schwammig wie, sagen wir mal,
‚Arschloch‘. Für beide Begriffe gelten folgende Lehrsätze: Jeder hat irgendwann in seinem Leben einen X kennen gelernt. Irgendwie weiß jeder, was ein X ist, niemand kann ihn aber genau definieren. Niemand will ein X sein, trotzdem ist für alle klar: den X gibt’s. Ah, und auch: jeder fürchtet, mit ihm das eine oder das andere Attribut zu teilen.
So finster sieht es mit dieser ‚Debatte‘
aus. Und dennoch: an einem Abend reich an Umschweifen und wahnsinnigen Fragen („Ab wann ersetzt beim Berliner Hipster die
russische Pelzmütze die Trucker Cap?“...), drei ausgesprochene Hypothesen geben Anlass, eine (knappe, unvollständige, verallgemeinernde und natürlich idealtypische) Charakterisierung des Hipster zu wagen. Wie es scheint, ist diese Charakterisierung auf globaler Ebene
gültig:
* der Hipster ist ein rebellischer
Kapitalist/Konsument [M. Greif]
* der Hipster ist ein Raumschaffender [T. Rapp]
* der Hipster ist ein junger, modebewusster
Großstadtmensch [Das herkömmliche, platte Stereotyp]
Fangen wir von unten an.
Da sich keiner als Hipster definiert, da
ihn keine Musikrichtung identifizierbar macht (im Unterschied zu Rappern, Punks
usw.), ist die sicherste Form, sich ihm anzunähern, die Auflistung von Modeaccessoires. Z.B. dieses entzückende Hipster-Porträt aus der Süddeutschen Zeitung:
„jene
dürren Jünglinge, die sich hautenge Röhrenhosen, Turnschuhe und ironisch bedruckte
T-Shirts anziehen, im Gesicht ein Vollbart und auf der Nase eine
überdimensional große Hornbrille tragen, auf dem Kopf einen angesagten
Haarschnitt drapieren und sich um die Schulter einen Jute-Beutel mit
aufgedruckter Aussage hängen“…
Man hätte auch noch ‚Porno-Schnurrbart’, ‚Vollbart’, ‚Zweite-Hand-Klamotten’, ‚Wayfarer’, ‚iPhone’ oder ja: ‚russische Mütze’ sagen können. Es ist in jedem
Fall deutlich, wovon die Rede ist.
Das Porträt ist albern – die anfängliche Insider-Mode ist inzwischen Mainstream geworden. Aber man kann dadurch zwei
Grundneigungen diagnostizieren:
1) Es geht beim Hipster (wie beim jeden
Milieu) um „Abgrenzung, Narzissmus und
ein Gefühl der Überlegenheit“ (S. 14). (Kein Wunder, dass Greif an anderer Stelle Pierre
Bourdieus Die
feinen Unterschiede [1979] als die Soziologie des Hipsters preist.)
2) Diese Subkultur (wie andere) wies am
Anfang ihrer heutigen Form eine gewisse Begeisterung
fürs Harte, Grobe, Ordinäre, oder gar Unästhetische auf. Daher die ganze –
für den amerikanischen Fall auf die white
trash verweisende – Macho-Andeutung:
die Tätowierung, die Porno-Anspielung, das frühe weiße Tank-top. Daher auch
jene Vorliebe für alles ‚Trashige’, die heute so modisch ist (und zu der der besagte
Berliner Jute-Beutel gehört) und sicherlich der relativ junge Sternburg-Hype.
[Gegenfrage: Was bedeutet nun die Neigung zum Androgynen, zur femininen Darbietung des
männlichen, die überall augenfällig ist, was bedeutet die Kultur der Skinny
Jeans? Ein weiterer ‚ironischer’ Dreh?]
Merkmale, die auf das von immer
hinzuweisen scheinen: auf eine
rebellische, ironisierende Geste gegen die bürgerliche Ordnung (aus der der
Großstadthipster kommt) usw. Genau die
Tatsache, dass die Leidenschaften der Hipster „scheinbar
gewalttätig“ sind und „bestehende Grenzen verletzen“, dass ihre allgemeine
Einstellung politically incorrect sein
will, sichert ihnen einen Platz als „oppositionelle Bewegungen“ (S. 120).
Also, zur Beruhigung: noch eine gute
alte, etwas anarchistische Subkultur – nein: eine adoleszente Gegenkultur unter anderen Gegenkulturen. So weit, so gut.
Die Sache scheint aber komplizierter zu
sein. Wenn die Spekulationen von Greif & Co. richtig sind, ist die ‚Rebellion‘ des Hipsters ganz
anders, als die anderer oppositioneller Subkulturen. Und hier fängt es an,
wirklich interessant zu werden. Denn diese Rebellion ist nämlich gar keine.
© HDCA, 2012