27.2.12

Materialien zur Erforschung des [Berliner] Hipsters (1)

Der gerade erschienene neongrüne Sammelband

Berlin: Suhrkamp 2012

kommt rechtzeitig dazu, einem merkwürdigen Subkultur-Phänomen, das schon seit einigen Jahren auf den Großstadtstraßen und im Netz mehr oder weniger ‚polemisch‘ rumspringt, eine gewisse intellektuelle Aura zu verleihen.

Einige parodistische bis grausame Hipster-Darstellungen sind schon berühmt, z.B. die soft-schwarze Satire „Hipster Hitler“, das Biopic „Der Berliner Hipster“:


oder die liebenswürdige Hasstirade „Being a Dickhead’s Cool“ über den Londoner Hipster (aber heute ist alles irgendwie das Gleiche):

 
Es fehlt auch nicht an Begriffsgeschichten und Genealogien des modernen Hipsters. Seine jetzige Suhrkampizierung scheint somit auf fruchtbaren Boden zu fallen.

Das Buch enthält Beiträge aus einer 2009-Tagung zur Analyse und Kritik des ursprünglichen, d.h. amerikanischen Hipsters. Zwar beginnt seine Frühgeschichte in der Jazz-Szene der 40er, die Essays widmen sich aber der zeitgenössischen Großstadtfigur, die als einer der Hauptprotagonisten der soziologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre in Vierteln wie Williamsburg und der Lower East Side in New York agiert. Besonders scharfsinnig sind zwei Texte von Mark Greif – Herausgeber der Zeitschrift n+1, Occupy-Chronist und Literaturdozent an der New School. Dazu kommen Beiträge der deutschen Autoren Tobias Rapp, Jens-Christian Rabe und Thomas Meinecke, die das Thema nun deutschlandfähig machen.

Die Idee des Buches ist disparat und doch lobenswert. Die Texte sind mutige Experimente (pseudo)wissenschaftlichen Im-Dunkeln-Herumtastens: Versuche, die Soziologie eines gegenwärtigen Phänomens zu skizzieren, das äußerst schwierig zu definieren ist.

Wer ist dieser (un)populäre Hipster? Gibt’s den wirklich? Diese Fragen denkt man im ersten Moment kann doch keiner ernst nehmen. Man guckt skeptisch ins Buch rein, erkennt das Problem, geht auf die Berliner Straße – und kann das Ganze am Ende nur faszinierend finden. (Das gilt auch für die frühere Literatur zum Thema, wie Richard Lloyds Neo-Bohemia: Art and Commerce in the Postindustrial City [2006].)

Das Buch wurde Anfang Februar im HBC-Berlin präsentiert. In charmanter Gesellschaft und aller Ehrlichkeit habe ich dort versucht zu verstehen, worum es hier eigentlich geht. Schwer. ‚Hipster‘, inzwischen zu einem Spottwort geworden, ist semantisch so schwammig wie, sagen wir mal, ‚Arschloch‘. Für beide Begriffe gelten folgende Lehrsätze: Jeder hat irgendwann in seinem Leben einen X kennen gelernt. Irgendwie weiß jeder, was ein X ist, niemand kann ihn aber genau definieren. Niemand will ein X sein, trotzdem ist für alle klar: den X gibts. Ah, und auch: jeder fürchtet, mit ihm das eine oder das andere Attribut zu teilen.

So finster sieht es mit dieser ‚Debatte‘ aus. Und dennoch: an einem Abend reich an Umschweifen und wahnsinnigen Fragen („Ab wann ersetzt beim Berliner Hipster die russische Pelzmütze die Trucker Cap?“...), drei ausgesprochene Hypothesen geben Anlass, eine (knappe, unvollständige, verallgemeinernde und natürlich idealtypische) Charakterisierung des Hipster zu wagen. Wie es scheint, ist diese Charakterisierung auf globaler Ebene gültig:

* der Hipster ist ein rebellischer Kapitalist/Konsument [M. Greif]

* der Hipster ist ein Raumschaffender [T. Rapp]

* der Hipster ist ein junger, modebewusster Großstadtmensch [Das herkömmliche, platte Stereotyp]

Fangen wir von unten an.

Da sich keiner als Hipster definiert, da ihn keine Musikrichtung identifizierbar macht (im Unterschied zu Rappern, Punks usw.), ist die sicherste Form, sich ihm anzunähern, die Auflistung von Modeaccessoires. Z.B. dieses entzückende Hipster-Porträt aus der Süddeutschen Zeitung:

jene dürren Jünglinge, die sich hautenge Röhrenhosen, Turnschuhe und ironisch bedruckte T-Shirts anziehen, im Gesicht ein Vollbart und auf der Nase eine überdimensional große Hornbrille tragen, auf dem Kopf einen angesagten Haarschnitt drapieren und sich um die Schulter einen Jute-Beutel mit aufgedruckter Aussage hängen“…

Man hätte auch noch ‚Porno-Schnurrbart’, Vollbart, ‚Zweite-Hand-Klamotten’, ‚Wayfarer’, iPhone oder ja: ‚russische Mütze’ sagen können. Es ist in jedem Fall deutlich, wovon die Rede ist.

Das Porträt ist albern – die anfängliche Insider-Mode ist inzwischen Mainstream geworden. Aber man kann dadurch zwei Grundneigungen diagnostizieren:

1) Es geht beim Hipster (wie beim jeden Milieu) um „Abgrenzung, Narzissmus und ein Gefühl der Überlegenheit“ (S. 14). (Kein Wunder, dass Greif an anderer Stelle Pierre Bourdieus Die feinen Unterschiede [1979] als die Soziologie des Hipsters preist.)

2) Diese Subkultur (wie andere) wies am Anfang ihrer heutigen Form eine gewisse Begeisterung fürs Harte, Grobe, Ordinäre, oder gar Unästhetische auf. Daher die ganze – für den amerikanischen Fall auf die white trash verweisende – Macho-Andeutung: die Tätowierung, die Porno-Anspielung, das frühe weiße Tank-top. Daher auch jene Vorliebe für alles Trashige, die heute so modisch ist (und zu der der besagte Berliner Jute-Beutel gehört) und sicherlich der relativ junge Sternburg-Hype. [Gegenfrage:  Was bedeutet nun die Neigung zum Androgynen, zur femininen Darbietung des männlichen, die überall augenfällig ist, was bedeutet die Kultur der Skinny Jeans? Ein weiterer ironischer Dreh?]

Merkmale, die auf das von immer hinzuweisen scheinen: auf eine rebellische, ironisierende Geste gegen die bürgerliche Ordnung (aus der der Großstadthipster kommt) usw. Genau die Tatsache, dass die Leidenschaften der Hipster „scheinbar gewalttätig“ sind und „bestehende Grenzen verletzen“, dass ihre allgemeine Einstellung politically incorrect sein will, sichert ihnen einen Platz als „oppositionelle Bewegungen“ (S. 120).

Also, zur Beruhigung: noch eine gute alte, etwas anarchistische Subkultur – nein: eine adoleszente Gegenkultur unter anderen Gegenkulturen. So weit, so gut.

Die Sache scheint aber komplizierter zu sein. Wenn die Spekulationen von Greif & Co. richtig sind, ist die ‚Rebellion‘ des Hipsters ganz anders, als die anderer oppositioneller Subkulturen. Und hier fängt es an, wirklich interessant zu werden. Denn diese Rebellion ist nämlich gar keine.


© HDCA, 2012