26.8.13

Bratwurst und Federhütchen – Die Pferderennbahn Hoppegarten



Wenn Brandenburg, diese grüne Ödnis, die sich mit ihren endlosen Pappelalleen, ihren Sümpfen und Wildschweinen, ihren entleerten Städten, ihrer kahlköpfigen Dorfjugend und ihren fünfzehnjährigen Müttern von Berlin aus in alle Himmelsrichtungen erstreckt – wenn Brandenburg in irgendeiner Hinsicht mit dem Wort „Chic“ in Verbindung gebracht werden kann, dann auf der Galopprennbahn Hoppegarten, im Osten Berlins. Gegründet 1868, war sie noch vor hundert Jahren die wichtigste Pferderennbahn in Deutschland. Das ist längst vorbei – und doch kann Hoppegarten noch heute dem Neugierigen einige Freuden bereiten.

Vor Berlin Ostkreuz mit der S-Bahn nach Hoppegarten fahrend, ist man, je näher man seinem Ziel kommt, von mehr und mehr Leuten umgeben, die wie Statisten aus einem völlig ausgeflippten DDR-Film über Ascot aussehen. Die Galopprennbahn selbst ist ein Paralleluniversum. Gekleidet wie eine Matrone aus dem Kaiserreich spielt eine alte Frau auf dem Vorplatz eine Drehorgel. Vor den Kassen ist alles bunter Sonnenschirm, Federhütchen und „det“, „wat“ und „haste nich jesehen!“.


Dressed to kill

Zum Glück wird dem Amateur-Pferdewetter der Einstieg leicht gemacht. An den Wettbuden beim Eingang kann man ab einem miserablen Einsatz von 50 Cent das Schicksal herausfordern und seinen etwaigen (und in der Regel ebenso miserablen) Gewinn kassieren. Die Favoritenpferde bringen den kleinsten Gewinn: ihre sonderbaren Namen – „Mystical Wind“, „Aloha Iwanaga“ oder „Rotkäppchen Rubin“ – stehen ja auf einer grossen Tafel, damit jeder Trottel mitmachen kann. Aber es sind die Nicht-Favoriten, die „Außenseiter“, die die hohen Quoten bringen. Wer zum Beispiel tollkühn auf „Run on Fire“ setzt (laut Prospekt: „Wartet immer noch auf den ersten Lebenserfolg und kam in ihrer Karriere noch nie auf den ersten drei Plätzen an. Das Fragezeichen in diesem Rennen“), wird reichlich belohnt, wenn das Tier gegen alle Erwartungen gewinnt. Mit den Außenseitern ist es bisschen wie mit jenen bebrillten Mauerblümchen auf den Partys, die sich nach 3 Gläsern Sekt doch als feurige Sexbombe entpuppen: wer nichts riskiert, verpasst das Leben.

Vor dem Rennen kann man die riesigen Pferde und ihre unglaublich schmächtigen Jockeys begutachten und sich überlegen, wer wie ein Sieger aussieht. Die acht Rennen am Tag dauern jeweils etwa vier Minuten und enden mit kreischenden Frauen und klatschenden Kindern auf den Schultern der Väter, die sich freuen, weil sie 3,80 Euro gewonnen haben. Zwischen den Rennen liegen halbstündige Pausen, die man dafür nutzen kann, neue Wetten abzuschließen, Zuckerwatte zu kaufen und die schrägen und wunderbaren Vögel des märkischen Sommers zu beobachten:

Alte Besucher

Ein altes lokales Ehepaar zum Beispiel, das im sonntäglichen Partnerlook elegant durch die Menge schreitet und sich Händchen haltend fotografieren lässt. Eine Gruppe tätowierter Eingeborener hat sich fein rausgeputzt – jedenfalls die Frauen, die breitkrempige Strohhüte, knielange Seidenkleider und Stöckelschuhe tragen (die Männer Bermuda-Shorts und Goldkettchen). Dazwischen springen die Berlin-Mitte Kunstgeschichtsprinzessinen in flatternden Kleidchen herum, begleitet von ihren Werbetextern in roter Hose, blauem Sakko und weißem Hemd, ausgerüstet für eine Landpartie à la „Great Gatsby“ auf Bio-Spar-Modus: Picknickdecke, „Rotkäppchen“ in Plastikbechern, Kartoffelchips und zwei selbst gemachte Quiches.

So wat hab ick noch nie jesehen!“, sagt uns eine ältere Frau, als sie an uns beim Auspacken der Quiche vorbeigeht. Ob sie probieren will, fragen wir. Nee, Danke – dafür bringt sie kurze Zeit später eine Tasse Filterkaffee vorbei. Die Dame heißt Hanni, kommt aus Hoppegarten und arbeitet seit 30 Jahren auf der Galopprennbahn. Die Arbeit gefalle ihr immer noch, aber es sei einfach nicht mehr, was es war, als noch die Filmstars der DDR zu ihr kamen und ihren Namen kannten. Heute geben die Leute kein Trinkgeld mehr, kennen einen nicht und sind nur da, um gesehen zu werden. Es sei halt alles „anonym jeworden“. Warum das so sei, wollen wir wissen. „Det verdammte Jeld“, das alles kaputt macht, philosophiert Hanni – die aber gleich weiter arbeiten muss. Wenn wir das nächste mal hier sind, sagt sie schnell beim Abschied, sollen wir sie suchen. Sie wird sich sicher an uns erinnern. Dann kriegen wir gern wieder mal einen Kaffee und noch ein paar Geschichten über Hoppegarten.



© Text und Bilder: Jana Burbach, HDCA, 2013